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Windenergie

Der Ausbau der Windenergie in der Schweiz stockt. Die meisten Projekte finden sich im Gegen- statt im Aufwind. Die NZZ beleuchtet die Lage der Windkraft landesweit.
Windenergie
Am Chroobach liegen die Nerven blank. Am bewaldeten Hügelzug südlich des Rheins, angrenzend an das idyllische Stein am Rhein mit seiner mittelalterlichen Burg, sollen vier Windräder in die Höhe wachsen. So zumindest planen es die Elektrizitätsgesellschaften von Kanton und Stadt Schaffhausen. Bis Ende Jahr soll eine Umweltverträglichkeitsprüfung zeigen, ob dies machbar ist. Bereits heute stellt sich dem Projekt aber die Gruppe «Gegenwind Chroobach» entgegen.

Austritt unter Protest

Um die projektkritischen Einwohner in die Planung einzubinden, setzten die beiden Elektrizitätsgesellschaften eine Begleitgruppe ein. Vergangene Woche traten sieben von deren Mitgliedern unter lautem Protest wieder aus. Die Gruppe werde zu PR-Zwecken instrumentalisiert und sei eine Farce, schimpfen sie, kritische Einwände würden ignoriert. Die Elektrizitätsgesellschaften weisen die Vorwürfe zurück, doch bereits hat die massive Kritik auch die Parlamente von Stadt und Kanton Schaffhausen erreicht. Die Rede ist von «undemokratischer Behördenpropaganda»; es werde versucht, die Stimmbürger zu kaufen. Und ganz allgemein: «Wir wollen für solche Projekte nicht unsere Landschaft opfern.»
Der geplante Windpark auf Gebiet der Gemeinde Hemishofen ist kein Einzelfall: Windanlagen stehen in vielen Gemeinden in der Schweiz im Gegenwind. Während etwa die bestehende Anlage auf dem Mont-Crosin ausgebaut und eine neue Anlage auf dem Nufenenpass erstellt wird, müssen die meisten anderen Projekte erst Widerstand überwinden: so etwa im Vallée de Joux, in Triengen oder am Gotthard.

Weshalb das so ist, lässt sich auf der Plattform Energie Schweiz nachlesen: «Die Planung von Windparks wird oft durch Einsprachen und Rekurse verzögert, da die Rotoren Lärm verursachen, in der Landschaft sichtbar sind und eine Gefahr für Zugvögel und Fledermäuse darstellen können.» Da hilft auch nicht, dass die Windenergie generell eine hohe Zustimmung geniesst, wie die Universität St. Gallen in einer Ostschweizer Umfrage eruiert hat. Im Grundsatz sind die meisten Befragten dafür; Windräder in der eigenen Umgebung aber wollen sie, wie die Praxis oft zeigt, lieber nicht.

Zwölf nicht realisierte Projekte

Seit 2012 gingen zwar neun von zwölf Abstimmungen in Kantonen und Gemeinden zugunsten geplanter Windräder aus, doch konnte wegen Einsprachen von Privaten oder Organisationen, unter anderen der Stiftung für Landschaftsschutz, bisher keines dieser Projekte realisiert werden. Auch Konflikte mit Einrichtungen von Skyguide oder des Militärs können gemäss Bundesamt für Energie (BFE) zu Verzögerungen führen. Entsprechend hoch sind die Planungsrisiken.

Karte der Schweizer Windkraftanlagen

Eine Anlage mit einem Windrad kostet durchschnittlich zwischen fünf und sieben Millionen Franken. Verzögerungen bei der Realisierung führen zu steigenden Kosten, und zusätzlich kommen laut BFE unsichere finanzielle Rahmenbedingungen hinzu: limitierte Mittel bei der kostendeckenden Einspeisevergütung, die dadurch entstandene Warteliste sowie das vorgesehene Ende der Förderung in der Energiestrategie 2050.

All dies hat dazu geführt, dass der Ausbau der Windenergie in der Schweiz stockt. In den letzten drei Jahren wurde kein einziger neuer Windpark gebaut. In wenigen Wochen geht nun im Gebiet Gries auf dem Nufenenpass wieder eine Windanlage in Betrieb, und auf dem Mont-Crosin im bernischen Jura, dem weitaus grössten Windpark in der Schweiz, werden vier Windräder erneuert. «Es geht nur sehr langsam voran, obwohl es sehr viele Projekte gibt», bedauert Reto Rigassi, Geschäftsführer von Suisse Eole, der Vereinigung zur Förderung der Windenergie in der Schweiz.

Investitionen im Ausland

Das zeigt sich etwa am Beispiel des Elektrizitätswerks der Stadt Zürich (EWZ): Es besitzt zwar eigene Windenergieanlagen und ist an mehreren Windparks beteiligt – allerdings weitgehend im Ausland. In der Schweiz partizipiert das EWZ nur gerade am Windpark im jurassischen St-Brais und investiert in zwei geplante Anlagen in Mollendruz und Provence in der Romandie. Vor Jahresfrist stieg das EWZ aus einem geplanten Windpark in der Surselva aus – wegen «veränderter Rahmenbedingungen», die «nicht mehr den Kriterien und Zielen» des EWZ entsprochen hätten. Es hätte die grösste Windanlage in der Schweiz mit 40 bis 60 Windrädern zwischen Lumnezia und Obersaxen werden sollen. Inzwischen wurde das Projekt auf 20 Windräder redimensioniert. Weiterhin sucht der Windpark im Bündner Oberland nach Investoren.

Waadt mit grossem Potenzial

34 Windräder drehen sich derzeit in der Schweiz im Wind, 37 werden es nach Eröffnung der drei Anlagen auf dem Nufenenpass sein. Bei einer Leistung von 60 MW produzierten sie 2015 insgesamt 103 GWh – zwei Drittel davon im Winter –, was dem jährlichen Strombedarf von rund 30 000 Haushalten oder einem Anteil von 0,17 Prozent an der gesamten schweizerischen Elektrizitätsproduktion entsprach.

Zum Vergleich: Die Waadt, der Kanton mit dem grössten Ausbaupotenzial, zielt auf eine Produktion aus Windenergie von dereinst 1100 GWh. Bisher steht auf Kantonsgebiet der Waadt allerdings noch keine einzige Windanlage. Die Energiestrategie des Bundes rechnet bis 2050 gar mit einer Produktion, die sieben bis zehn Prozent des Schweizer Stromkonsums decken soll und rund 50 mal höher wäre als heute. «Ideal wären sogar noch mehr als 10 Prozent», sagt Reto Rigassi, verweist aber sogleich darauf, dass man noch keineswegs auf dem Weg ist, dieses Ziel zu erreichen.

Das BFE bleibt unbeirrbar bei seiner Zielsetzung. Es verweist beispielsweise darauf, dass neue Windkarten zeigten, dass in vielen Regionen sogar bessere Windgeschwindigkeiten herrschten als bisher angenommen. Die stärksten Winde wehen demnach auf den Höhen von Jura und Voralpen, auf Alpenpässen und in Alpentälern sowie im westlichen Mittelland. Soviel ist gewiss: Der Nutzungskonflikt Landschaft-Windenergie wird andauern.

Windenergie in der Schweiz
Der Ausbau der Windenergie in der Schweiz stockt. Die meisten Projekte finden sich im Gegen- statt im Aufwind. Manch eine geplante Anlage scheitert. Dennoch hält der Bund am Ausbauziel der Windkraft fest.
Mont-Crosin, Gries, Vallée de Joux, Triengen und Gotthard: Die NZZ beleuchtet die Lage der Windkraft schweizweit.

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