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Warum die Energiestrategie der Schweiz ökonomisch schaden wird

Grundsätzliche Überlegungen zu den volkswirtschaftlichen Kosten

von Prof. em. Dr. oec. Silvio Borner, WWZ Uni Basel

(1) Die Atomausstiegsinitiative (AAI) und das Referendum gegen die Energiestrategie 2050 (ES2050) sind zwei ganz verschiedene Paar Schuhe, weil es bei AAI nur um die primär emotionale Frage „Atomstrom Ja oder Nein“ ging, aber die ES2050 den ganzen Energiesektor planwirtschaftlich umkrempeln will. Deshalb stehen jetzt – endlich und erstmals – die wirtschaftlichen Konsequenzen im Zentrum. Dabei darf man nicht nur die jetzt referendumsfähige Phase 1 untersuchen, sondern muss auch die viel gefährlichere Phase 2 (Stichwort Lenkungsabgaben bzw. Rationierung) einbeziehen. Und wer diese zweite Phase ablehnt, sollte logischerweise bereits die Vorstufe verwerfen.

(2) Die direkten Kosten der ES2050 sind natürlich schwer auf eine einzige Zahl zu reduzieren, weil viele Unsicherheiten über die Preisentwicklungen z.B. von Erdöl oder Strom aber auch die technischen Fortschritte oder die politischen Beziehungen zur EU bestehen. Aber die Grössenordnung der Mehrkosten von 3 200 Franken p.a. für eine 4-köpfige Familie ist sicher viel realistischer als die offizielle Angabe von Fr. 40 durch Bundesrätin Leuthard oder gar die Verneinung auch nur von einem Rappen Mehrkosten durch Nationalrätin Kathy Riklin.

(3) Theoretisch und empirisch lässt sich leicht zeigen, dass mit steigendem Anteil von „Flatterstrom“ die Verbraucherpreise tendenziell überproportional ansteigen, wenn der Anteil ein kritisches Mass ab etwa 10 % erreicht hat. Die Strompreise in Deutschland oder Dänemark sind heute schon doppelt so hoch wie in Frankreich und dreimal so hoch wie in den USA. Eine deutsche Studie zeigt, dass allein die kostendeckende Einspeisevergütung und andere Fördermassnahmen bis Mitte der 20er Jahre 520 Milliarden kosten. Wenn wir als 10mal kleinere Volkswirtschaft dem deutschen Vorbild blindlings nacheifern, landet man bei der Grössenordnung von 50 Milliarden nur für die Förderkosten.

(4) Elektrizität ist physikalisch absolut homogen, aber ökonomisch das pure Gegenteil. Der Wert von Strom hängt entscheidend von der zeitlichen Verfügbarkeit und Planbarkeit ab. Deshalb ist das Gesetz des einheitlichen Preises nicht anwendbar. Eine kWh an einem schönen Juni-Mittag erzielt bereits heute einen negativen Preis. Da können die nackten Produktionskosten von Sonne oder Wind noch lange sinken. Wenn der Wert noch schneller sinkt, kann nur mit Subventionen investiert werden. Für Privat-Investitionen kommt es nur darauf an, ob die erwarteten Erlöse der Zukunft die Kosten zu decken vermögen oder nicht. Ohne KEV tendieren die Erlöse auf dem Markt immer mehr gegen null. Volkswirtschaftlich relevant sind die Preise auf der System- bzw. Verbraucherebene. Wenn man industrielle Grossverbraucher verschont, trifft es die anderen umso härter.

(5) Weil in jedem Monat selbst in Deutschland zu etwa einem Drittel der Zeit praktisch kein Solar-und Windstrom ins Netz geht, müssen gewaltige Über-Kapazitäten für deren Produktion, zusätzliche Investitionen für Pufferung und Speicherung und den Netzausbau realisiert werden mit entsprechenden Zusatzkosten auf der Systemebene. M.a.W. man wird gezwungen, Investitionen zu finanzieren, die man ohne ES50 gar nicht tätigen müsste und die niemals rentabel werden können. Jede Form von Pufferung (kurzfristig) oder Speicherung (langfristig) ist beim Strom eine Energievernichtung, die nur dann Sinn macht, wenn die zeitlichen Preisdifferenzen im Markt die Speicherverluste und übrigen Speicherkosten übertreffen. Bei Pumpspeicherwerken beträgt das Verhältnis von Rückgewinnung zum Verlust bestenfalls 80% zu 20%, bei chemischen Umwandlungen, wie etwa bei P2G2P, ist es gerade umgekehrt. Technisch ist vieles machbar, aber wirtschaftlich bleibt das Allermeiste hoffnungslos.

(6) Die ES50 hat nicht nur unnötige volkswirtschaftliche Kosten zur Folge, sondern auch unerwünschte asoziale Verteilungswirkungen auf Mieter, KMUs und langfristig auch die Steuerzahler. Diese an sich vielen Verlierer bekommen aber erst in einer Volksabstimmung eine Chance, weil die relativ wenigen Profiteure ihre Sonder-Interessen im Parlament und bei der Verwaltung fast problemlos durchsetzen können. Man kann sogar sagen, dass „Energie Schweiz“, aber auch der Schweizerische Nationalfonds potenziellen Gegnern wie gehorsamen Befürwortern, inklusive der Wissenschaft, Geld in dreistelliger Millionenhöhe freiwillig nachwerfen. Davon kann selbst die Agrar-Lobby nur träumen. Profiteure der Wende sind vor allem KEV-Empfänger (Migros ist grösster Einzelempfänger), Hauseigentümer mit anstehenden Dach-Renovationen (Mitnahmeeffekte), aber auch die staatlichen Stromverteiler als Billigeinkäufer mit im Monopol gefangenen Hochpreis-Kunden. Die Ablehnung der Energiesteuer in BL vom November hat gezeigt, dass diese wenigen Privilegierten bei einer Volksabstimmung relativ einfach zu überstimmen sind – selbst wenn (oder gerade weil) sie die ganze Verwaltung und den Kantonsrat zuvor über den Tisch ziehen konnten.

(7) Wenn wir effektiv in die Phase 2 der ES2050 einsteigen sollten, würden die indirekten volkswirtschaftlichen Kosten diese direkten Belastungen der Konsumenten schnell übersteigen. Was verstehe ich darunter? Die steigenden Energie- und vor allem Strompreise würden die De-Industrialisierung mit Produktionsverlagerungen beschleunigen, während die durch Lenkungsabgaben oder gar Gebote und Verbote ausgelösten Fehlinvestitionen für unwirtschaftliche Reduktionsmassnahmen natürlich zu Lasten von Investitionen in produktivere und innovativere Aktivitäten gehen. Die Aussage von BR Leuthard, dass die vorgeschlagene „Kels“ kostenneutral bliebe, weil die erhobenen Lenkungsabgaben vollständig an Wirtschaft und Bevölkerung zurückerstattet würden, ist doppelt falsch. Zum einen werden Lenkungsabgaben meist früher als später zugunsten von Subventionen zweckgebunden. Und weil ohne Subventionen die NEE (Nicht Erneuerbaren Energien) nicht überleben können, ist diese Umwandlung vorprogrammiert. Zum anderen verzerren eben die Lenkungsabgaben die relativen Preise zulasten aller energieintensiven Aktivitäten – Rückerstattung hin oder her!

(8) Sonne und Wind sind schon aus heutiger Sicht „veraltete Technologien“, die gesamtwirtschaftlich weder die Beschäftigung und schon gar nicht die entscheidende Produktivität von Arbeit und Kapital positiv beeinflussen können. Das Gegenteil ist zu erwarten, wie Milton Friedman bildlich veranschaulicht hat. Er besichtigte in Indien den Bau eines Kanals und staunte, wie nur von Hand geschaufelt wurde. Auf die Frage warum, sagte man ihm, es gehe eben auch um ein Beschäftigungsprogramm. Worauf er zurück fragte: „Warum gebt ihr den Arbeitern dann nicht Teelöffel statt Schaufeln“? Die angepeilte Rückkehr zu Biomasse mit enormer Landverschwendung lässt grüssen. Entscheidend für das Wachstum ist die innovationsgetriebene und marktgesteuerte Produktivitätssteigerung und nicht die Zahl der planwirtschaftlich geschaffenen Arbeitsplätze. Die ES50 ist aber auch bezüglich Forschung und Entwicklung kontraproduktiv, weil die Forschung politisch in Richtungen mit unüberwindbaren physikalischen und ökonomischen Grenzen gelenkt wird. Technologieverbote wie im Nuklear- oder GVO-Bereich sind einer offenen und freien Gesellschaft unwürdig und werden dem F&E-Standort Schweiz schwer schaden. Und last but not least, bleibt es kontraproduktiv, selbst wenn das falsch investierte Geld „hier bleibt“. Denn die Kosten von Fr. 250 pro vermiedene Tonne C02 (wie für BL nachgewiesen) müssen von uns allein getragen werden – und erst noch mit einem Null- oder gar Negativeffekt auf den globalen Ausstoss.

(9) Wenn wir also den „Accord von Paris“, die Agenda 2030 für Nachhaltigkeit der UNO und die ES2050 quasi im Alleingang umzusetzen versuchen, landen wir in einer schweren Wirtschaftskrise. Was in der Politischen Ökonomie unumstösslich gilt, ist folgendes:

Idealistische, ideologische, sozial- oder naturromantische und somit quasi-religiöse planwirtschaftliche „Wenden von oben“ werden in einer Demokratie spätestens dann von der Mehrheit abgestraft, wenn das – sichtbar und spürbar – auf Kosten des Wachstums geht. Leider wird es umso kostspieliger, je später ein so eingeleiteter Jahrhundertfehler nicht nur erkannt, sondern gekippt wird. Im Moment ist das Referendum die einzige Hoffnung.

Aber wie soll es nach dem (gewonnenen) Referendum weitergehen? Wenn es absolut vermessen, ja unmöglich ist, den Energieverbrauch und die Struktur des Angebots auf Jahrzehnte hinaus zu planen, dann muss man darauf verzichten und vielmehr folgende Leitlinien beachten:

a) Es besteht kein Grund zur Eile, und Schweizerische Alleingänge sind für uns schädlich und die Umwelt oder das Klima irrelevant, wenn nicht gar auch schädlich.

b) Alle Optionen müssen offen gehalten und vorurteilsfrei analysiert werden, insbesondere neue Nuklear-Technologien, gasbetriebene WKK-Anlagen und Importe, die bislang nur als sicherer Joker in der Hinterhand behandelt wurden.

c) Wir müssen die Grenze zwischen Markt- und Planwirtschaft wieder in Richtung der Märkte verschieben. Die Verluste in zweistelliger Milliardenhöhe der staatlichen und staatsnahen Branchen-Leader sind so gesehen auch eine Chance. Eine Liberalisierung im Rahmen eines europäischen Strom-Marktes würde auch die jetzt so verwöhnten Monopol-Verteiler zu mehr Effizienz oder zur Aufgabe zwingen.

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